Seiten |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
RUNDBRIEF JANUAR – „Doch ich, als Mensch, bin viel zu klein...“
Hallo liebe Marokko-Freunde!!!!
Vieles hat sich verändert und es gibt tausend Sachen zu erzählen. Bei mir und hier geht es rund und zwar noch mehr als sonst. Dafuer erfreue ich mich hier einem wunderschoenen Januarwetter, dass man am Strand sogar mit T-shirt geniesen kann
ARBEIT
Die letzten 3 Wochen vor dem großen Opferfest (Aid el Kbir), 3 arabische Monate nach Ende des Ramadan haben wir für einen Theaterabend gearbeitet, Sketche entwickelt und Lieder geschrieben. Unter dem Thema „Immigration“ wurden die Sketche, darunter ein Schattenspiel und die Trommelstuecke zusammengefügt und Montag und Dienstag vor dem großen Fest jeweils zweimal für Darna und zwei Schulen aufgeführt. Kurz zuvor hatte ich noch erfahren, dass ich auch mitspielen muss, nämlich als europäische Gitarrenspielerin, die auf Straßenkinder trifft, was dann echt witzig wurde.
Es war echt gut allerdings wurde es durch die Atmosphäre bei Darna vor dem familiären Fest getrübt. Der Aid el Kbir kann an Wichtigkeit mit Weihnachten und Sylvester zusammen verglichen werden. Nach der Geschichte Abdrahims, der seinen Sohn Isaac Gott opfern soll, wird in jeder Familie vom Oberhaupt das männliche Schaf geschlachtet, natürlich durch Kehlschnitt und den ganzen Tag gegessen.
Viele Jungs hatten Darna eine Woche vorher verlassen, um Geld für ihre Familien auf der Strasse zu verdienen, meist gezwungenermaßen. Vor diesem Fest müssen neue Kleider gekauft werden und allein das erwachsene männliche Schaf kostet zwischen 100 und 300 Euro. Dadurch war es nicht nur schwer, mit den Kindern zu arbeiten, weil wir in unserem Sketch dreimal die Rollen ändern mussten, sogar unsere zwei Hauptrollen und wir hatten nur sechs Proben zur Verfügung. Ich habe so viele Kinder wie noch nie auf der Strasse getroffen und die Atmosphäre in der Herberge war absolut nicht familiär, sondern leer und traurig.
Leider sind auch viele Jungs nicht mehr, wie erwartet, zurückgekommen nach dem Fest, so auch der kleine 12-jaehrige Said und sein Bruder, beide gut integriert und klasse Schauspieler. Auch auf der Farm hat sich die Stimmung total verändert, als ich wiedergekommen war. Nun sind nur noch 15 Jungs dort, zwar sind 2 neue gekommen, aber dafür haben auch 5 die Farm verlassen.
Allgemein ist bei Darna eine Umbruchsstimmung, da im Februar ein großes Plenum abgehalten wird, in denen wahrscheinlich einige Stellen gestrichen werden oder das ohnehin schon magere Gehalt gekürzt, weil das Geld von der EU für das Jugendhaus dann zu Ende ist. Viele Mitarbeiter wollen deswegen kündigen, mal sehen, was dabei rauskommt.
Durch die Arbeit im Theater bin ich von dessen kreativen, erzieherischen Fähigkeiten vollkommen überzeugt. Das Theater mit allem drum und dran (Erarbeitung von Texten, Erarbeitung von Szenen, bildliche Darstellung von Erfahrungen, Kulissenbau, Kostuemherstellung, Auswertung…) ist ein perfektes Mittel um allerlei wichtige Fähigkeiten bei aller Art von Menschen zu fördern. Für Kinder ist es besonders hilfreich, Vergangenheiten zu verarbeiten, das Selbstbewusstsein, Gruppenarbeit, Toleranz, kritisches Denkvermögen und Kreativität zu fördern, und und und.
An dieser Stelle will ich kurz ein Beispiel nennen:
Ayoub, ein Junge, der erst vor kurzem zu uns, von der Strasse zur Herberge gekommen ist, hat bei meinem und Abdelalis Sketch für das Fest mitgemacht. Anfangs war er extrem schüchtern, kannte die Jungs noch nicht und hat kaum gesprochen. Es war schwierig, weil er sich zwei Sätze nicht merken konnte, auf der Bühne nur gestottert und andauernd gelächelt hat, ein Zeichen seiner Unsicherheit. Nach und nach wurde es besser, da er gemerkt hat, dass ihn keiner auslacht, er von der Gruppe so akzeptiert wird, wie er eben ist und sich mit seinen Schwächen nicht verstecken muss. So kam es auch, dass er, der die Rolle des Aussteigers, der nicht bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen sterben will spielte, für seine zwei Sätze, den meisten Applaus geerntet hat. Mittlerweile ist Ayoub ein guter Schauspieler, der gerne auf die Bühne springt, vor allen andern tanzt und sich gut wehrt, wen ihm jemand blöd kommt.
Solche Fortschritte innerhalb weniger Woche zu sehen, ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl, das Gänsehaut macht und das man gar nicht glauben kann.
Ich denke, vor allem für Kinder und Jugendliche und behinderte Menschen ist das Theater ein unverzichtbares Mittel, von dessen Wirksamkeit ich vollkommen überzeugt bin. Ich habe auch eine Idee für ein groesseres Theaterprojekt im Kopf, nämlich nach der Idee des „Kleinen Prinzen“ von Antoine Saint-Exupery, nur auf der Basis der Immigration. Vielleicht lässt sich da ja was machen.
Nach der Aufführung wurde das Theater geschlossen aus Renovierungszwecken und die Arbeit mit den Kindern wieder im Februar aufgenommen, weswegen ich jetzt neben der handwerklichen Arbeit (was auch mal sehr gut tut) hauptsächlich meine Batik- und Kunstateliers mache.
Letzte Woche dann, wurde aus meinen Zimmer 1400 Dirham (=130 Euro), ein Fotoapparat und meine Shisha gestohlen, weil ich Depp vergessen hatte, für zwanzig Minuten, abzusperren. 1000 Dirham und den Foto hab ich jetzt dank Leilas Hilfe wieder, aber der Jugendliche, Zoheir, der es gestohlen hatte, ist nun leider vor Angst auf die Strasse gegangen. Das ist ziemlich uncool, weil es einfach meine Schuld ist, dass ich die Tür offengelassen habe. Denn die Jungs lernen leider von klein auf, durch Klauen zu überleben und es war keine Sache, die man persönlich nehmen sollte.
Warum ich nun eigentlich Darna verlasse, hat viele Gruende; ich versuche einige zu nennen:
Bei den Projektspezifischen Sachen liegt es vor allem an den Mitarbeitern und der Struktur Darnas wie schon sooft in vorherigen Rundbriefen beschrieben.
Zum Einen gibt es keinen der mir erklaert haette wie alles bei Darna so ablaeuft, was ich machen muss, wenn ich eine neue Idee starten will, woher ich die Materialien kriege, welche Kinder wann Zeit haben. Null Einfuehrung oder so eben. Ich musste alles selbst herausfinden und dass ist immer noch so.
Wobei mir die Arbeit mit den Kindern ja eh schon shcwer genug faellt, da ich kein arabisch spreche und diese Sprachbarriere mir wirklich sehr viel zu schaffen macht. Es ist einfach schrecklich, den Kids so viel sagen zu wollen, soviel mitgeben zu wollen und ihnen zuzuhoeren (denn daran mangelt es bei Darna wirklich) und dann nach den Fragen nach dem heutigen Befinden nichts weiter sagen zu koennen. Wie sollte sich jemals ein richtiges Vertrauensverhaeltniss zwischen mir und den Kindern aufbauen koennen, wenn ich sie auf der Strasse treffe und Passanten brauche, fremde Leute, die mir dann erklaeren sollen was wieder schreckliches passiert ist. Oder wenn mir ein Junge erklaert, dass er viele Probleme auf der Farm hat, ich aber nichts dazu sagen kann weil er mich nicht versteht und ich ihm nicht richtig zuhoeren kann weil ich ihn nicht verstehe. Es ist eh nicht einfach fuer diese Jungs ueber ihre Vergangenheit zu reden, aber so geht es ja gar nicht.
Zum anderen habe ich auch oft das Gefuehl, dass meine Arbeit blockiert wird, dass man eben ewig auf Materialien oder sonstiges warten muss.
Das schlimmste von allem ist natuerlich das Gelabere hinter dem Ruecken, weil es die heftigsten Auswirkungen hat. Mittlerweile ist es schon so weit, dass sich meine Beziehung mit den grossen Jungs auf der Farm verschlechtert hat, weil sie nun auch etwas von diesen ganzen Geschichten mitbekommen haben und distanzierter sind.
Das allerdings ist kein spezielles Problem Darnas, sondern auch ein Problem mit der Mentalitaet. Die meisten Marokkaner lieben es anscheinend, viel zu reden und zwar vieles ueber andere und vieles was nicht hundertprozentig der Wahrheit entspricht. Ausserdem ist die Situation in Tanger als europaeische Frau auch nicht gerade das gelbe vom Ei.
FERIEN
Da ich gleich nach der letzten Aufführung dienstagabends krank wurde, verpassten ich und Domi, mein Besuch aus Deutschland, das große Opferfest, zu dem wir nach Kenitra von einer Betreuerin Darnas, eingeladen waren. Ausser, dass die Nachbarn uns freundlicherweise die Innereien, die hier als die groesste Delikatessen gelten, einschliesslich Zunge, Hoden und Gehirn mit allem drum und dran, gebracht haben, die Domi dann gegessen hat, habe ich nur die Blutflecken und die überall herumliegenden Häute, mitbekommen.
Samstagmorgen sind wir dann erst nach Rabat aufgebrochen, von da aus ging es dann weiter nach Marrakech und dann noch tiefer in den Süden, nach Ouarzazate. Die Busfahrt dorthin hat uns einen unglaublichen Ausblick auf die wundervolle Landschaft der Geroellwueste mit ihren vielen Bergen und grünen Tälern ermöglicht und von permanenten Kotzgeraeuschen der marokkanischen Businsassen untermalt, die wohl aufgrund der Serpentinen hervorgerufen wurden. Von Ouarzazate aus 140 km weiter besuchten wir dann das kleine Dörfchen Tamlalte, in dem eine Gruppe Franzosen eine Bibliothek aufbauen wollen und bei denen wir unterkamen. Da diese sehr nett waren, es sehr ruhig und wunderschön dort war und eine Bibliothek für die Leute dort ohne Telefon, Fernseher, öffentlichen Verkehrsmitteln, Stassenbeleuchtung und fließend Wasser wichtig ist, werde ich, wenn die Zeit passt, vielleicht dort ein wenig mithelfen.
Allgemein fand ich es im Süden Marokkos sehr angenehm, da die Leute freundlicher erscheinen, es sehr warm ist außer die saukalten Nächte und die Landschaft und der Sternenhimmel ueberwaeltigend sind. Marokko ist ein wundervolles Land mit allem was man will: Wüste, Strand, Berge, Skigebiete, Wäldern, Wiesen. Sehr abwechslungsreich.
In diesem kleinen Dorf war dann zufällig eine Berberhochzeit, zu der wir eingeladen waren. Dies war zwar keine reiche wie man sie in den Hochzeits DVDs sieht mit viel Schmuck, Musikgruppen, Thron und Sänfte, dafür aber sehr traditionell. Männer und Frauen getrennt, Frauen essen wenn die Männer fertig sind (es gab Tagine und Couscous), die Frauen haben gesungen und getrommelt (herrlich) und später wurde getanzt. Und obwohl ich die einzige Frau ohne Kopftuch und Kaftan war und null berberisch spreche waren alle sehr nett, vor allem die kleinen Mädels.
Sylvester wurde dann in Fes mit Julien, Felix und seinen Nachbarn gefeiert. Das ist in Marokko kein wirkliches Fest, da Neujahr nach den arabischen Monaten am 09.01., zwei Tage vor dem Unabhaengigkeitstag, war. Und eigentlich lebe ich nicht in 2008, sondern in 1429, solange ist es her, dass Mohammed Mekka verließ. Auf dem Rückweg nach Tanger machten wir noch einen Stopp in Chefchaouen, nahe dem Rif-Gebirge.
SEMINAR UND WEITERGANG
Nachdem ich ja eigentlich sicher war nach Deutschland zurück zu kehren, wurde ich während des Seminars letztes Wochenende in Fes sehr verunsichert. Das Seminar fand statt, da Brigida, unsere Marokkozustaendige von Eirene, meiner Partnerorganisation uns besuchte. Zusammen mit den anderen Freiwilligen Felix, Julien und Monika aus Fes, Meknes und Casablanca und Aicha unsere „Begleiterin und Freundin in allen Notlagen“ besprachen wir alle offenen Fragen, Erlebnisse, Probleme, Kulturschock und Zukunftsaussichten. Es war sehr gut, darüber zu sprechen, sich auszutauschen und Lösungen zu finden. Mir wurde sehr vieles klar, vor allem durch Aicha, die als Halbmarokkanerin und in Belgien aufgewachsen auch sehr viele Probleme in einer doch noch so sehr spürbaren patriarchalischen und frauen-feindlichen Gesellschaft hat(te).
Auf jeden Fall habe ich mich jetzt entschieden, doch zu bleiben, allerdings wie schon längst entschieden, Tanger und Darna zu verlassen. Denn es gibt ein Projekt in Meknes, das mir recht gut gefaellt und das auch mit Strassenkindern arbeitet (BEITI). Die Vorteile davon, weswegen ich auch glaube dass sich dieselben Problem nicht noch mal wiederholen, sind, dass es nur vier Mitarbeiter hat und sie daher auch wirklich Leute noetig haben. Dort koennte ich dann ein Theaterprojekt aufbauen und ziemlich eigenstaendig Ideen verwirklichen. Ausserdem wuerde mich Leila so gerne noch bei Darna behalten, dass wir eine Zusammen-arbeit beider Projekte im Sinne von monatlichen Austauschen, gemeinsame Theaterprojekte, Ausfluege und Sommercamps eventuell machen koennten. Zu erfahren, dass die eigene Arbeit doch so bemerkt und fuer nuetzlich eingeschaetzt wurde, hat mich sehr ermutigt.
Trotzdem glaube ich, dass Tanger keine Stadt fuer mich ist und ich neu anfangen muss. Denn die Leute in Meknes sind doch noch um einiges ruhiger und freundlicher und ich kann mit Julien zusammenziehen, wodurch ich dann auch nicht mehr so ausgeschlossen waere. Denn als Frau alleine ist man in Marokko einfach isoliert weil man nicht wirklich Freundschaften zu Frauen aufbauen kann, da diese hier eine ganz andere Realitaet haben und auch nicht soviel weg gehen und eher distanziert sind. Zum anderen kann man auch nicht wirklich Freundschaften zu Maennern aufbauen oder nur sehr langsam und vorsichtig, da es in der marrokkanischen Gesellschaft keine wirklichen reinen Freundschaften zwischen Mann und Frau gibt. Natürlich gibt es auch wunderschöne Momente und das auch nicht zu selten, die es mir schwer machen, mich von Darna zu lösen. Die Kinder, die ich so sehr vermissen werde und von denen ich so viel gelernt habe und für die es sich doch so lohnt zu kämpfen und dazubleiben, vor allem jetzt, wo jede Arbeitskraft so dringend gebraucht wird. Oder die schönen Gespräche mit einigen Leuten, meine zwei wirklichen Freunde hier, Hafid, der im Theater arbeitet und Abdou, der Nachtwächter der Farm. Obwohl er nur arabisch spricht, was es anfangs schwer gemacht hat, versteht er meine Probleme auf der Farm, hilft mir wo er kann und durch ihn hab ich wirklich große Sprachfortschritte gemacht. Auch das Theater und seine Mannschaft werde ich natürlich vermissen.
Zwar sind die meisten Probleme nicht durch Darna sondern durch Schwierigkeiten mit der Mentalität gekommen, weswegen ich auch zurück nach Deutschland wollte, aber ich weiß genau dass ich es dann bereuen würde, es nicht noch einmal probiert zu haben.
Denn jetzt kenne ich auch die Mentalität hier besser und weiß eher, was geht und was nicht. Daher hoffe ich, dass dieselben Probleme nicht noch mal auftreten. Ich muss einfach noch vorsichtiger sein, auch wenn es schwer fällt.
Am Dienstag geht es dann also schon los, bis dahin eine Zweierwohnung zu finden, wird zwar schwierig, aber ich könnte auch solange in Casablanca, bei Aicha, wohnen. Auf jeden Fall bleide ich erstmal drei Tage bei Julien und suche eine Wohnung und rede mit denen vom neuen Projekt, ob auch alles klar geht und ob ich erstmal ein Monat Praktikum machen kann um zu sehen ob es mir taugt. Denn versprechen kann ich nicht, dass ich noch ein Jahr hier bleiben kann. Das wird sich zeigen.
Liebste Gruesse,
von eurer mittlerweile einwenig arabisch sprechen koennenden Katrin
PS: neue Fotos sind auf meiner Homepage: http://kati-in-marokko.de.tl
|
|
|
|
|
|
|
Heute waren schon 3 Besucher (5 Hits) hier! |
|
|
|
|
|
|
|