Liebe Leute !!!!!!!!!
In diesem Rundbrief möchte ich euch unter anderem die Unterschiede Marokkos – Deutschland beschreiben, die mir durch meinen zweiwöchigen Urlaub im “Mutterland” noch mal deutlicher geworden sind.
Vorab erstmal, was sich so abgespielt hat: Gleich nach meiner Rückkehr sind ich und Julien gleich umgezogen.
Kulturschock Deutschland
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Auf jeden Fall, habe ich doch wieder einiges zu schaetzen gelernt an Marokko, die zwei Wochen in denen ich in Deutschland war, da man aus der Distanz einfach vieles nuechterner und nicht mehr so selbstverstaendlich sieht. Am auffaeligsten war fuer mich, dass sich ueberhaupt nichts veraendert hatte in einer Zeit, die mir gefuehlsmaessig wie zwei Jahre vorkommen - und dementsprechend meine gedankliche Entfernung, da sich eben meine Einstellung bzw. Perspektiven zu vielen Dingen geaendert haben. Hier habe ich in einem halben Jahr mehr erlebt und gelernt - vor allem auf zwischenmenschlicher Ebene - als in den letzten neun Schuljahren. Es ist ein bisschen wie als waere ich wie ueber einen bildlichen "Trennungsstrich" "herausgewachsen".
Optisch faellt auf jeden Fall gleich auf, dass es viel zu ruhig ist in Deutschland. Still ist es hier nie. Andauernd viel zu viele Leute auf den engen Strassen, die sich permanent begruessen, unterhalten; Waren anpreisen oder sich lautstark beschimpfen und vor allem permanent Kinder und deren Geschrei. Sie scheinen dieses Land zu regieren. In Erlangen - kein Kind auf den viel zu sauber - sterilen Riesenstrassen. Kein Fernseher, der 24 Stunden laeuft, keine Autos die hupen, kein Handy das andauernd klingelt, keine Babys die schreien. Stattdessen gibt es Ampeln, Autos die jemanden am Zebrastreifen vorbeilassen, Vogelgezwitscher, frische Luft, Belanglosigkeiten, Ich-Fixierung und Anonymitaet. Selbst in Tanger - siebenmal groesser als Erlangen - habe ich alle fuenf Minuten jemanden Bekanntes getroffen;
So kam es dann auch, dass ich Dinge, die ich vermisst habe gar nicht richtig nutzen konnte, weil es mir so absurd vorkam und ich so gewoehnt war darauf zu verzichten, zum Beispiel nachts noch alleine rausgehen zu koennen unabhaengig sein, nicht aufzufallen, zu sagen was man will, auch einfach mal alleine sein koennen, zu tragen, was man will und natuerlich nicht permanent angestarrt zu werden. Sogar hier gewoehnt man sich irgendwann an fast alles, das Verhaten gleicht sich immer mehr en dortigen Bedingungen an. Das ploetzliche Interesse an meiner Arbeit hier, war auch etwas seltsames. Hier lerne ich andauernd neueLeute kennen, das Interesse an Gespraechen und die Offenhait (bei Maennern), ist erstaunlich und ich habe hier bestimmt mehr Leute kennenglernt als die lezten zwei Jahre. Allgemein muss ich sagen, dass die Menschen, die ich hier in Meknes kennenlernen durfte freundlicher und weniger aufdringlich als in Tanger sind ( Was aber vielleicht hauptsaechlich durch meine aufgebaute Vorsicht und Misstrauen kommt). Allerdings ist Meknes auch viel marokkanischer als das fast spanische Tanger, weswegen man hier viel mehr auffaellt.
Was am meisten auffällt und ja auch weithin berühmt ist, ist natürlich die arabische Gastfreundschaft. Auch wenn man nicht wirklich viel hat, wird alles geteilt. Sei es der Apfel, den man isst, den Waschlappen für das Hammam, das Teil aus Ton, mit dem man seine Hornhaut entfernt, alles wird gegeben und man muss es annehmen, ansonsten macht man sich keine Freunde. Warum das so ist??? Hier in Marokko sind alle theoretisch gesehen gleich. Eine jüngere Frau wird mit "Schwester" angeredet, jüngerer Männer "Chojja" (=Bruder), ältere Frauen respektvoll "Walida" (= Mutter), ältere Männer "Sidi" (= mein Herr) und Frauen unter sich "Habiba" (= meine Liebe), Männer unter sich "Sahibi" (= mein Freund) auch wenn man sich nicht kennt. Das schöne daran ist, dass die Mehrzahl dies zwar aus religiösen Gründen tun, aber dabei der Ansicht sind, dass wir alle Gottes Kinder sind, damit alle gleich, egal welche Religion oder Nationalität man angehört. Allgemein muss ich sagen, dass es sehr gut ist, dass Marokko sehr islamisch ist, da es sonst wohl permanent zu Konflikten kämen würde aufgrund der unglaublichen Gegensätze und verschiedenen Kulturen (schon allein zwischen Berbern und Arabern, Land- und Stadtbevoelkerung, Norden und Süden). So gibt es noch das vereinigende Band der Religion, die sehr viele gute Werte mit sich bringt. Würde es den nicht geben, würde sich niemand um die Armen und Alten kümmern (der Staat tut ja nichts, es gibt keine Krankenversicherung, keine Rente, keine Sozialhilfe) und die Kriminalität und Gewalt würde explodieren zum Beispiel.
Arbeit macht frei
Das war auch ein Grund, weshalb ich nun wieder tagsüber arbeite. Fast einen Monat habe ich nun nachts gearbeitet, was auch mal recht interessant war. Oft konnte man die ganze Nacht nicht schlafen, weil die Babys so viel schreien. Dann habe ich 13 Stunden durchgearbeitet und habe nun noch mehr Mitleid mit den Krankenschwestern, die ihre 24h Schicht haben, ohne einen Tag Urlaub im Jahr. Was mich überrascht hatte, als ich wiederkam, dass nur 2 Babys adoptiert wurden. Dafür sind allerdings 8 neue dazu gekommen, davon 7 Frühgeburten. Und da diese am meisten schreien, war eben dann nichts mehr mit schlafen. Dreimal war ich jetzt auch schon dabei, als Neue gebracht werde. Meistens nachts, mit Nabelschnur und Geburts-schleim noch dran und blau angelaufenen Fuesslein. Außerdem ist ein kleines, Hassan, gestorben, er war schon immer sehr kränklich. Und zwei von den Babys sind jetzt in dem Nebenzimmer für groessere Babys, darunter mein Liebling Youssef. Zu ihm habe ich eine ganz enge Beziehung aufgebaut weil ich ihn von Anfang an sehr oft in den Arm genommen habe, weil er krank war. Außerdem hat er einen etwas deformierten Kopf und kotzt sehr viel, weswegen ihn kaum jemand in den Arm nimmt. Daher ist das jetzt offiziell mein Junge und kaum trete ich in den Raum lächelt er mich an, ein wundervolles Gefühl. Allgemein hatte es den Anschein, als ob mich die Babys wieder erkannt oder vermisst haben die zwei Wochen wo ich weg war, aber ich glaube, das liegt nur daran, dass jetzt die meisten lächeln können, weil sie älter geworden sind. Manche habe ich kaum wieder erkannt, so schnell sind sie gewachsen. Die Frühchen leider dafür nicht so.
Ein Problem (oder Vorteil??) was ich auch während meines Urlaubs in Deutschland gemerkt habe, ist, dass ich zunehmend abgestumpfter werde anhand der Situationen mit denen ich konfrontiert werde. Oft kommen Auslaender, vor allem Franzosen, Englaender und Amerikaner um Kinder zu adoptieren und die meisten sind so geschockt von den Zustaenden dort, dass sie das Weinen anfangen oder die Krankenschwester beschimpfen. Anfangs kam ich mir auch eher so vor, wie in einem Legehennenbetrieb, so wie die Babys vollgepumpt werden mit Milch. Keiner, der sie in den Arm nimmt, keine Heizung im Saal, geschweige denn sowas wie Bruhtkasten und die aelteren Babys liegen die ganze Zeit nur im Bett und langweilen sich. Kein Wunder also, dass die groesseren Jungs oft behindert oder lernschwach sind. Und dafuer werden sie auch noch mit Pruegel bestraft. Neulich war wieder mal "groesserer sexueller Kontakt" zwischen zehn Jungs zwischen 12 und 18 Jahren - das Phaenomen ist mir bereits aus Darna bekannt. Ob dort aus sexuellem Missbrauch oder Erfahrung von der Strasse oder hier aus Ausbruchsversuchen aus der Enge oder Neugier - immer stehen dahinter Traumata, die ich gar nicht erfassen will, denke ich mal. Und Homosexualitaet ist eh ein schwerwiegendes Verbechen in Marokko. Aber fuer sie steht nicht mal ein Psychologe bereit, kein Respekt sondern sie muessen Liegestuetzen als Bestrafung machen, wer nicht mehr kann wird zusammengeschlagen, sie werden zu zehnt eine Woche in einen Toilettensaal gesperrt ohne Matratzen und sechs davon sind nun in einer "Erziehungsanstalt" - der Name allein steht fuer die Zustaende dort, glaube ich. Das Problem fuer mich besteht in der Gewissheit, dass ich nichts daran aendern kann mit einer franzoesischen Praesidentin die noch dazu die reichste Marokkanerin ist. Und dass ich das so hinnehme und gar nicht mehr so geschockt bin, ist einer der groessten Gruende, warum ich jetzt doch abbreche und im Juni wieder zurueckkehre. Auch die Hoffnung, dass ich mein Theater - und Bastelprogramm endlich beginnen bzw. fortfuehren kann, habe ich schon laengst bitter aufgegeben. Genauso wie fuer Julien mit seinen Sprachunterricht stellen sich die mangelnde Hilfsbereitschaft, Motivation und das Desintersse zu riesigen Barrikaden vor uns auf. Zwar bekomme ich viel zurueck von den Babys, aber nur diese Arbeit ist langweilig und fuellt mich nicht aus, vor allem da meine ganze Motivation und Neuaunfangs-Gruende der Entwicklung eines Theaterprojektes galt... Wer haette gedacht, dass ich jemals anfange, Darna zu vermissen? Naja, immerhin geben ich und Julien nebenbei noch ein wenig Englisch-Nachhilfe fuer AbiturientInnen, was sehr schoen ist.
Kulturelles Leben und wie es weitergeht...
Kurz moechte ich euch beschreiben, was kulturell hier so vor sich geht...
Ich habe noch nie eine/n MarokkanerIn ( ausser Schueler und Studenten) ein Buch lesen sehen, ausser dem Koran. Konzerte oder Kino (ca. 2 Euro) sind zu teuer fuer die Normalbevoelkerung, geschweige denn Theater. Dafuer laeuft der Fernseher - sofern man einen hat - die ganze Zeit oder eben das Radio. Bei Filmen, in denen sich zwei Menschen zu nahe kommen, wird sofort umgeschalten auf den Videokanal (der aber bekannteweise Halbpornos getarnt als Musikclips spielt). Ansonsten wird zu 95 Prozent maghribinische Musik gehoert, nicht mal die Beatles sind bekannt. Und es gibt fast jeden Monat ein religioeses Fest. Der Geburtstag des Propheten Mohammeds vor einem Monat, ist etwas ganz besonderes in Meknes. An diesem Tag kommen "vom Teufel besessene" Einwohner und machen allerlei verrueckte Sachen wie Flaschen zu essen, sich heisses Wasser in die Venen spritzen oder mit Aexten sich die Schaedel einschlagen - ohne dabei aus nicht geklaerten Gruenden umzukommen. Schwarze, sowie rote Klamotten als teuflische Farben sind an diesem Tag tabu - ein franzoesischer Tourist war dieser Umstand heuer nicht klar und landete dementsprechend im Krankenhaus, aufgerissen durch die Fingernaegel Besessener.
Neulich war ich auf dem 1200. Geburtstag von Fes, unserer Koenigs- und Nachbarstadt. Dafuer wurde ein riesengrosses Festival organisiert, auf dem traditionelle Musik bis hin zu Rap gespielt und die Stimmung war am brodeln. Das schoenste daran war, das Bilder und Landschaften auf die uralte Stadtmauer projeziert wurden, auf einem Platz etwa 50mal so gross wie der Erlanger Schlossplatz, voller Leute. Zwar hatte das auch etwas von Propaganda, besonders als die Nationalflagge dutzendweise an die Mauer gebeamt wurde und dazu ein Video des "gruenen Marsches" zur Unabhaengigkeit 1950 gespielt wurde. Aber dieses Erlebniss, unter tausenden Marokkanern, alle jubelnd und teilweise mit erhobener Faust die Hymne singend, war etwas voellig neues fuer mich. Und passend dazu gab es zum Schluss ein Riesen-Feuerwerk untermalt von dramatischer Musik, was ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Die Stimmung war atemberaubend, ganz anders wie zu anfang, wo ich mir eher wie bei einer heftigen Demo vorkam und Angst hatte, dass das grosse Militaeraufgebot uns zusammenschiesst...
Wie es aussieht, werde ich voraussichtlich Ende Mai oder Anfang Juni meinen Freiwilligendienst hier abbrechen, aber noch einige Wochen in Marokko verweilen, vor allem in Tanger und im Sueden, um mich richtig zu verabschieden – v.a. von den Jungs in Tanger, die ich schon sehr vermisse - und noch mal zu mir zu kommen, mir das vergangene knappe Jahr noch mal richtig bewusst zu werden. Zwar habe ich auch Angst, dass ich die falsche Entscheidung treffen und mich dann in Deutschland voll aerger. Allerdings geht auch dieses staendige Hin- und Her so nicht mehr, ich fuehle mich von der Schizophrenie dieses Landes schon voll gefangen. Aber bis es soweit ist, kommt nochmal ein Rundbrief.
Ausserdem stelle ich so bald wie moeglich Fotos von unserer neuen Wohnung auf meine Homepage http://kati-in-marokko.de.tl – leider sind Fotos von den Babys aus adoptionsrechtlichen Gruenden verboten,weswegen ich leider keine von meiner Arbeit machen kann.
So verbleibt – mit einem viel zu langen Bericht - bis auf weiteres...
... eure Karima (die sich nun immerhin schon jeden dritten Tag hier wohl fuehlt)